Der Gungervaa – ein mongolischer Schrein
Shownotes
Der Gungervaa – ein mongolischer Schrein
In der Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin gibt es einen mongolischen Holzschrein mit verschiedenen, im Buddhismus verehrten Gegenständen. Er gelangte zu Anfang des 20. Jahrhunderts nach Berlin und ist heute einzigartig auf der Welt, weil die Gegenstände darin fast alle erhalten geblieben sind. Wie kann das Museum diesen Schrein bewahren, wie am besten zeigen, was ist dabei zu berücksichtigen? Die Restauratorin und Ethnologin Birgit Kantzenbach ist in die Mongolei gefahren und hat sich mit vielen Menschen darüber beraten, denen der Schrein etwas bedeutet. Als Übersetzerin mit dabei war die mongolische Kunsthistorikerin Dulamjav (Duka) Amarsaikan. Wir haben mit den beiden gesprochen: über den Schrein, seine Herkunft, die Reise und das Restaurieren.
Gesprächspartnerinnen: Dulamjav (Duka) Amarsaikhan ist eine mongolische Kunsthistorikerin. Sie hat in verschiedenen Fuktionen, u. a. als Forscherin und Leiterin der Sammlungsabteilung, für das Zanabazar Fine Arts Museum in Ulaanbaatar in der Mongolia gearbeitet.
Birgit Kantzenbach ist Restauratorin und Ethnologin mit Schwerpunkt Mongolei. Sie arbeitet am Ethnologischen Museum Berlin und hat bereits an verschiedenen Kooperationsprojekten mitgewirkt.
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Katharina Erben: Gegen die Gewohnheit.
Anna Schäfers: Der Podcast zu neuen Formen der Zusammenarbeit im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst Berlin.
Dulamjav Amarsaikan: Speaking of the shaman exhibition and the consulting, I think a lot of museum professionals also consult monks in Mongolia. But there is precedent with that. But, a Western museum, a museum from Germany doing that is a new thing for us.
Anna Schäfers: Ich bin Anna Schäfers, Kuratorin für Text und Sprache beim Projekt „Das Kollaborative Museum“.
Katharina Erben: Und ich bin Katharina Erben, freiberufliche Kulturredakteurin.
Birgit Kantzenbach: It’s a box you can buy or you can build and you put something inside you want to worship.
Katharina Erben: In der mongolischen Sammlung des Ethnologischen Museums gibt es einen einzigartigen Holzschrein, einen sogenannten gungervaa. Er ist circa 55 cm hoch und 40 cm breit. In die Vorderseite ist eine Glasscheibe in einen verzierten Rahmen eingelassen. Durch sie erkennt man im Inneren der Holzkiste die große Figur eines Lamas, also eines buddhistischen Heiligen, und darum herum viele kleine Gemälde und Gegenstände aus Seide, Perlen, Papiermaché, Keramik und Knochen.
Anna Schäfers: Vor mehr als zehn Jahren hat ein Kurator die Restauratorin und Ethnologin Birgit Kantzenbach gebeten, diesen Schrein für eine Ausstellung vorzubereiten. Sie hat sich viele Gedanken gemacht, wie man ihn am besten präsentieren kann.
Birgit Kantzenbach: I’m a conservator at the Ethnological Museum in Berlin. And I’ve been specialising in Mongolian artifacts. I have participated in a Unesco museum development project in Mongolia and I’ve been researching the gungervaa we’re talking about for about ten years and finally got to go to Mongolia to talk to my colleagues over there about the presentation. And Duka was a wonderful partner in communication with all these different people.
Anna Schäfers: Birgit ist also im Sommer 2023 in die Mongolei gefahren, um mehr herauszufinden. Sie hat dort mit verschiedenen Menschen gesprochen, denen dieser Schrein etwas bedeutet, die aus kulturellen, religiösen oder wissenschaftlichen Gründen mit ihm verbunden sind.
Katharina Erben: Dabei hat sie die mongolische Kunsthistorikerin Dulamjav (Duka) Amarsaikhan vom Buddhist Art History and Conservation programme at the Courtauld Institute of Art und Mitarbeiterin das Zanabazar Fine Arts Museum in Ulanbaatar begleitet. Auf der Reise in die Mongolei war Duka als Dolmetscherin und Beraterin tätig, und aus dieser Verbindung erwuchs eine umfassende Zusammenarbeit. Duka erinnert sich an einen gungervaa im Haus ihrer Großeltern.
Dulamjav Amarsaikan: My idea of a gungervaa always brings me back to my grandparents’ box, where all their icons and important fabrics would be placed in. And later on, they would translate to maybe monasteries where they would be bigger or much smaller scale, where it’s portable. So it’s always this container for the important idols and worship items for me.
Anna Schäfers: Gungervaas gibt es also in verschiedenen Ausführungen, so wie es die Idee von Schreinen ja auch in verschiedenen Religionen gibt. Hier ist es ein Behälter für Idole, also Bilder oder Statuen von buddhistischen Lehrern, Gottheiten, Heiligen oder verehrten Geistlichen und Stoffen, wie in Dukas Großelternhaus. Die Frage ist aber, wie ist dieser gungervaa ins Museum in Berlin gelangt?
Birgit Kantzenbach: Well, it was collected at the beginning of the 20th century by a German meteorologist, who participated in the Sven Hedin expedition. And we don’t know how he got hold of the gungervaa, but he gave it to Ferdinand Lessing in Beijing as a present for the Ethnological Museum in Berlin.
Anna Schäfers: Da sind jetzt einige Namen gefallen. Sven Hedin war ein schwedischer Geograf und Entdeckungsreisender. Von 1927 bis 1935 leitete er die Chinesisch-Schwedische Expedition, die mit 60 Mann, 300 Kamelen und 40 Tonnen Gepäck die meteorologischen, topografischen und prähistorischen Gegebenheiten in der Mongolei, der Wüste Gobi und Xinjiang untersuchte. Heddin war eine durchaus umstrittene Figur: Er war dem Nationalsozialismus gegenüber nicht abgeneigt, um es mal diplomatisch auszudrücken. Der zweite Name war Lessing. Ferdinand Lessing war ein deutscher, später amerikanischer Sinologe, also ein China-Forscher, ein Mongolist und Lama-Kenner. Als Kustos der Ostasiensammlung des Ethnologischen Museums in Berlin war er bei dieser Expedition dabei. An ihn übergab der Meteorologe Waldemar Haude also den gungervaa. Wir wissen aber nicht, wie der gungervaa in Haudes Besitz gelangt ist. Nur, dass er dann über Lessing ins Museum kam.
Birgit Kantzenbach: I haven’t so far found any other gungervaa in any European museum or Mongolian museum.
Katharina Erben: Es ist das einzige derzeit bekannte Exemplar eines solchen Schreins in der Sammlung eines Museums, denn meistens wurden sie auseinandergenommen und nach ihren Bestandteilen getrennt aufbewahrt. So war es ursprünglich auch in Berlin der Fall.
Birgit Kantzenbach: Certain objects, the metal sculptures,s were taken out because in, I would say, Western art historical ideas, they have a different rank than the wooden box and the textiles. And they were exhibited separately and stored separately. And then during the war they probably got lost somehow, somewhere, we don’t exactly know.
Katharina Erben: So kam es auch dazu, dass im Zweiten Weltkrieg einige der Metallskulpturen aus dem gungervaa verloren gingen. Eventuell liegen sie in Museen in Russland, aber das ist nicht klar.
Anna Schäfers: Auch in der Mongolei ist die Geschichte vieler religiöser Gegenstände, wie zum Beispiel von gungervaas, zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Gewalt und Raub verknüpft. In kommunistischen Säuberungsaktionen wurden Religion und ihre Ausübung nicht nur verboten, es wurden auch religiöse Kunstgegenstände zerstört oder jedenfalls aus Klöstern und Privathaushalten entwendet.
Dulamjav Amarsaikan: It was started in the 1930s, or some say earlier, that the religious and the ruling classes were persecuted systematically. Their lives, their belongings, families were scattered. And in the museum context, a lot of the objects that make up the museum collection are things that once belonged to households, monasteries that were destroyed.
Anna Schäfers: Wie in Deutschland wurden auch in der Mongolei Objekte aus gungervaas an verschiedenen Orten aufbewahrt. Die Skulpturen an dem einen Ort, die Gemälde vielleicht an einem anderen – je nach Kunstwert.
Dulamjav Amarsaikan: The fact that there is an idol, a sutra, which is a text, a Buddhist religious text, and the personal belongings, the clothes inside the gungervaa as well, is, I think, an example of what might have been forcefully taken by the government at the time. Maybe destroyed or maybe forcibly put into museums as objects and taken apart and stored as such. The text would go to the text side. The papier maché idol would go to the papier maché side. So in Mongolian museums today, it’s very hard to tell which object might have belonged as a set, as an assemblage.
Anna Schäfers: Die Gegenstände haben also vielleicht nur deshalb überlebt, weil man ihren religiösen Wert heruntergespielt und ihren künstlerischen Wert betonte hat.
Dulamjav Amarsaikan: So maybe describing them as works of art was the way of saving those objects and bringing them to today. That’s part of the difficult conversation.
Anna Schäfers: Heutzutage ist kaum noch zu rekonstruieren, welche Objekte in einem gungervaa einmal zusammengehört haben. Wie soll man also den einzigartigen gungervaa aus der Ethnologischen Sammlung in Berlin präsentieren, bei dem noch relativ klar ist, welche Teile in ihn gehören? Soll man die Gegenstände in ihrem Holzbehälter präsentieren, um ihren Zusammenhang zu betonen, oder soll man sie separat zeigen, damit man die einzelnen Dinge besser sehen kann? Das herausfinden war das Ziel der Kollaboration. Birgit ist in die Mongolei gereist, um dort mit verschiedenen Menschen zu sprechen – in Museen, in Klöstern, oder auch bei Kulturerbestätten.
Birgit Kantzenbach: My approach was to hear as many people as possible, to get a multi-vocal understanding because I think it’s important that not only one person has a say.
Katharina Erben: Wir haben Duka und Birgit gefragt, welche ihrer Begegnungen sie besonders beeindruckt haben.
Dulamjav Amarsaikan: Yeah, certainly the Pürevbat audience was a big ordeal because it took us an entire day and it’s almost like a pilgrimage. A lot of people actually take a pilgrimage to see him. So this was a special occasion.
Katharina Erben: Lam Pürevbat war ein mongolischer Mönch, Maler, Kunstsammler und Gründer des Zanabazar Mongolian Institute of Buddhist Art. Seine Kunst, seine Arbeit und sein Glaube waren stark miteinander verwoben. Er hat eine wichtige Rolle in der Wiederbelebung buddhistischer Kunst in der Mongolei gespielt. Lam Pürevbat starb am 10. April 2024.
Anna Schäfers: Wie wertvoll, dass Birgit und Duka den Mönch im Sommer 2023 noch treffen und mit ihm reden konnten. In Deutschland ist für Restaurator*innen diese Sorte von Feldforschung mit vielen Gesprächen mit verschiedenen Menschen, die verschiedenen Interessen für die Restaurierung haben, noch eher ungewöhnlich.
Birgit Kantzenbach: I would dare to say it’s relatively new in Germany. It’s not so new in other countries like the United States, where I’ve worked before, or also in the Netherlands.
Anna Schäfers: Gehört Feldforschung also zum Kerngeschäft der Restaurierung?
Birgit Kantzenbach: I think the primary goal of preservation is to prolong the existence of cultural property. And there’s different ways of doing that in preventive conservation basically trying to control the outside influences, so they have as little effect as possible on the material side of the object. And treating an object and interfering, adding material to make it more readable maybe in exhibitions, would be a more a restoration approach, I would say.
Katharina Erben: Die Aufgabe der Restaurierung ist also Erhalt eines Kulturgegenstands. Eine weitere ist die Rekonstruktion, damit dieser Gegenstand zum Beispiel in einer Ausstellung gut erkannt und besser gelesen werden kann. Dabei kommen viele kreative Methoden und technische Mittel zum Einsatz.
Birgit Kantzenbach: Conservation can be also very creative, I think, you can use whatever you want. Methods from medicine; we are using a lot of inert materials and also technology, tomography, X-ray, whatever helps us identify materials or structures. As long as we don’t harm the object, material-wise or meaning-wise nowadays – we should always consider that as well and consult with people who feel closer to the object – there is no limit basically.
Katharina Erben: Durch die technischen Untersuchungsmethoden wie Tomographie oder Röntgenbilder soll das Objekt aber nicht beschädigt werden – weder das materielle Objekt, noch die Bedeutung des Objekts, insbesondere die Bedeutung für die Menschen, die eine starke Verbindung zu diesem Gegenstand haben.
Birgit Kantzenbach: I would think it’s balancing the material versus the meaning of an object and not preserving only the material, but also preserving the meaning for different people, the intangible.
Katharina Erben: Der Erhalt des materiellen Objekts muss im Gleichgewicht mit dem Erhalt seiner Bedeutung für bestimmte Menschen erfolgen, wie Birgit sagt. Duka hebt in diesem Zusammenhang die Herkunftsgesellschaft des Gegenstands hervor.
Dulamjav Amarsaikan: I understood that conservation as a practice is going towards this idea of the community – the background that it comes from, the people, the religion that it associates with – and taking care of that object with that in mind and not just focusing on prolonging the life of the object or the thing that you’re trying to conserve, but also getting a bigger picture of where this comes from and what people who’ve created it, or the people who it matters to most, think how it should be taken care of and taking into the future generations and what those decisions entail.
Anna Schäfers: Diese verschiedenen Aufgaben der Restaurierung, Gegenstände zu erforschen, zu erhalten und zu präsentieren, ergänzen sich. Je besser die Restauratorin ein Objekt kennt, desto präziser kann sie die Restaurierung gestalten. Birgit beschreibt, wie sich ihre Ideen zur Präsentation des gungervaa durch die Gespräche in der Mongolei gewandelt haben.
Birgit Kantzenbach: When I first talked to a Mongolian art historian, she had the idea of taking the objects out and presenting them around the so-called box, so everybody can see what’s inside. And that’s usually not the approach of a conservator to take things out and separate them. But when I went to Mongolia, and learned more about the object, I understood that concept. And I now understand why this is interesting and important for Mongolian people.
Anna Schäfers: Wie der gungervaa in der Ausstellung präsentiert wird, ist also ein direktes Ergebnis der Forschungsreise in die Mongolei.
Birgit Kantzenbach: To get a majority of answers with a clear expression that people would prefer to have things exhibited outside of the box was really a nice result of the whole experience. And I personally learned so much about the gungervaa and the people, and I enjoyed it incredibly.
Katharina Erben: Bei dieser deutsch-mongolischen Restaurierungszusammenarbeit geht es konkret um den gungervaa, aber auch um den Prozess, der zu seiner Restaurierung führte. Was sind die gemeinsamen Ziele der Zusammenarbeit?
Dulamjav Amarsaikan: I think it presents one of the first examples where such an approach is being taken. The result of this can have a major benefit for both sides in Mongolia and maybe in Germany, I hope. For Mongolia, I would see it as an introduction of how Western conservators, who are more based in the principles of minimum intervention, preventative care, are also undertaking these new approaches, and that there is no concrete one way of doing things. And introduce this idea along with the international conservation act of agreed practices that are being developed in Mongolia.
Anna Schäfers: Duka hofft also, dass diese Ansätze der minimalen Intervention und Vorsorge in der Restaurierung durch die Zusammenarbeit auch in der Mongolei Fuß fassen. Geplant ist derzeit eine Ausstellung im Humboldt Forum in Berlin 2025. Hier soll unter anderem der gungervaa neben einer Art Making-of seiner Restaurierung ausgestellt werden, und zwar so, wie es die Menschen in der Mongolei sich wünschen.
Birgit Kantzenbach: It’s an exhibition about conservation, where the process and the decision making for the gungervaa’s conservation will be exhibited. And the gungervaa in the way Mongolian people have preferred will be exhibited.
Anna Schäfers: Gerade wird nach einer Möglichkeit gesucht, um den gungervaa im Anschluss an Berlin auch in der Mongolei zu zeigen, um auch dort einen neuen Blick auf die eigene Vergangenheit zu ermöglichen.
Dulamjav Amarsaikan: Because our religion, Buddhism particularly, was persecuted for 70 plus years, a lot of objects, material culture has been lost or even been museumfied where it’s sort of forced to be museum objects rather than what my grandparents had in their house. So I think people generally have a curiosity of seeing what, if it is possible, like a time box that preserves the history and the culture of that time, as it was. That is really curious to us.
Birgit Kantzenbach: Yeah, we definitely have to keep in touch and continue this whole project further.
Katharina Erben: Das war „Gegen die Gewohnheit. Der Podcast zu neuen Formen der Zusammenarbeit im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst.“ Produziert von speak low im Auftrag der Staatlichen Museen zu Berlin.
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