Mio Okido

Shownotes

Mio Okido

Vom 14. September 2024 bis zum 5. Februar 2025 zeigt die Ausstellung „Mio Okido. Erinnerte Bilder, imaginierte Geschichte(n) – Japan, Ostasien und ich“ vier neue Werke der Künstlerin Mio Okido. Sie beschäftigen sich mit der Erinnerungskultur in Japan, China und Korea im Kontext des japanischen Imperialismus/Kolonialismus/Faschismus in Ostasien von ca. 1872 bis 1945. Für diese Folge von „Gegen die Gewohnheit“ haben wir mit der Künstlerin und den beiden verantwortlichen Kurator*innen über ihre Kollaboration für die Ausstellung gesprochen.

Link zur Ausstellungsbroschüre

Link zur Ausstellung

Gesprächspartner*innen:

Mio Okido wurde 1986 in Japan geboren. Sie lebt und arbeitet seit 2015 in Deutschland. Der aktuelle Fokus ihrer künstlerischen Arbeit liegt auf Erinnerungsarbeit zum japanischen Kaiserreich und seiner Rolle als nicht-weißer Kolonialmacht in Asien, dem Verhältnis asiatischer Migrant*innen und asiatisch-deutscher Menschen zur zeitgenössischen Geschichte Asiens und ihrer Identität sowie zur Fragmentierung deutscher Identität durch die Teilung des Landes.

Link zur Website der Künstlerin

Alexander Hofmann ist seit zwanzig Jahren Kurator für Kunst aus Japan beim Museum für Asiatische Kunst Berlin. Er hat in Heidelberg und in Tokyo europäische und ostasiatische Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Japan studiert. Er zeichnet immer wieder verantwortlich für Ausstellungen zeitgenössischer Künstler*innen, wie zuletzt Keiko Sadakane, Yuken Teruya und Matthias Beckmann.

Kerstin Pinther ist seit 2021 Kuratorin für moderne und zeitgenössische Kunst im globalen Kontext beim Ethnologischen Museum und beim Museum für Asiatische Kunst. Die Kunsthistorikerin hat lange an der Universität gearbeitet, aber auch Ausstellungen gemacht, vielfach zur zeitgenössischen Kunst Afrikas. Sie zeichnete bei Ausstellungen im Humboldt Forum zuletzt verantwortlich für “Kimsooja. (Un)Folding Bottari” und für “Über Grenzen. Künstlerischer Internationalismus in der DDR”; an letzterer ist auch Mio Okido beteiligt.

Transkript anzeigen

Katharina Erben: Gegen die Gewohnheit.

Anna Schäfers: Der Podcast zu neuen Formen der Zusammenarbeit im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst Berlin.

Mio Okido: Also ich finde, dass ich einfach Teil vom Team bin. Wir haben zusammen diese Ausstellung geschaffen und ich glaube, das hilft, die lokale Kultur und Geschichte zu vernetzen und als kreative, kollektive, globale Kultur und Geschichte zu verstehen.

Anna Schäfers: Vom 14. September 2024 bis zum 3. Februar 2025 ist im 3. Stock des Humboldt Forums die Ausstellung „Mio Okido: Erinnerte Bilder, imaginierte Geschichte(n) – Japan, Ostasien und ich“ zu sehen. Mio war CoMuse-Fellow. Ein Ergebnis ihres Fellowships sind die Werke, die jetzt im Museum zu sehen sind.

Mio Okido: Ich heiße Mio Okido – also die Künstlerin der Ausstellung. Und ich beschäftige mich mit asiatischer Erinnerungskultur im globalen Kontext.

Katharina Erben: Wir haben uns unterhalten mit Mio und den beiden Kurator*innen der Ausstellung. Kerstin Pinther ist Kuratorin für moderne und zeitgenössische Kunst im globalen Kontext und seit drei Jahren bei den Museen. Kerstin hat uns zu Beginn des Gesprächs auf eine Tour durch die Ausstellung mitgenommen und erzählt, was die Besuchenden dort zu sehen bekommen. Es beginnt mit einer Zwei-Kanal-Videoinstallation – es sind also zwei Videos parallel zu sehen.

Kerstin Pinther: „Betrachten“ heißt sie. Das ist eine sehr komplexe Installation, die auf den Reisen, den Recherchen, würde ich sagen, von Mio Okido in Japan und Korea basiert, wo sie verschiedene Erinnerungsorte aufgesucht hat, Museen. Sie hat das zusammengebracht mit weiterem Archivmaterial. Und man sieht auf zwei eigentlich gegenüberliegenden Wänden eine komplexe Videoinstallation, die aber nicht einfach auf die Wände projiziert, sondern die das auf 84 kleine Leinwände projiziert. Und das in einem Wechsel, also es sind nicht immer alle Bilder auf den Leinwänden zu sehen, sondern da ist auch eine Bewegung in der ganzen Installation drin. Und es gibt immer noch so ein weiteres Moment, wo das Auge der Künstlerin und der Lidschlag des Auges zu sehen ist und das dann damit eben auch immer wieder eine neue Anordnung auf den Bildschirmen oder auf den Leinwänden auch initiiert. Diese beiden Wände stehen sich gegenüber. Zentral ist noch mal eine fotografische Arbeit, die auch schon sehr prominent auf der Presseerklärung oder auf der Homepage zu sehen ist. Man sieht das Gesicht der Künstlerin Mio Okido, und sie trägt ein Diadem um den Kopf. Auf diesem Diadem sind mehrere – ich weiß gar nicht, wie viele Fotografien da eingearbeitet sind?

Mio Okido: Ich glaube insgesamt zehn große Männer, die Modernisierung Japans geleistet haben.

Kerstin Pinther: Und ich würde denken, dass in beiden Arbeiten eben so ein ganz wichtiges Moment, wie überhaupt in der Arbeit von Mio, ist immer die Frage, wie sich der das Individuum, die Einzelne, der Einzelne, zur Geschichte, zur großen Geschichte sozusagen auch positioniert.

Anna Schäfers: In Mios Kunstwerken geht es oft um die Geschichte eines Landes und wie die Darstellung dieser Geschichte sich auf die Menschen in diesem Land auswirkt. Zum Beispiel, welche Personen der Vergangenheit verehrt werden – weil sie das Land zu dem gemacht haben, wie es sich heute versteht. Ein weiteres Kunstwerk von Mio befasst sich mit besonderen Bildern aus der Sammlung des Museums für Asiatische Kunst, sogenannten Nihonga. Diese Bilder geben Einblick, wie Japan sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegenüber sich selbst und gegenüber Europa dargestellt hat. Alexander Hofmann ist seit 20 Jahren im Museum für Asiatische Kunst und Kurator für Kunst aus Japan. Er hat uns erklärt, was Nihonga sind.

Alexander Hofmann: Nihonga bedeutet wörtlich, wenn man von den Schriftzeichen ausgeht, Nihon Japan und Ga Malerei, also Japanbilder, wenn man so möchte. Es ist ein Genre der Malerei, das im späten 19. Jahrhundert entstanden ist, eigentlich in Abgrenzung zur westlichen Malerei, insbesondere der Ölmalerei, die in dieser Zeit in Japan eingeführt worden ist. Das ist eine Sammelbezeichnung für traditionelle Malereistile. Man könnte sagen, es ist neotraditionelle Malerei. Es wird gemalt mit traditionellen Malmaterialien, also Tusche oder Mineral- und Pflanzenfarben, entweder auf Papier oder auf Seide. Und die Motive sind meistens traditionelle Motive, die irgend etwas mit Japan zu tun haben. Und im 19. Jahrhundert, als Japan sich als Land modernisierte, auch unter dem Druck oder der Gefahr, durch westliche Nationen kolonialisiert zu werden, da war es ganz wichtig, dass man einer nationalen Identität Ausdruck gab. Und in Nihonga hat diese Funktion innerhalb der Kunst wesentlich ausgefüllt.

Anna Schäfers: Was interessiert dich an den Nihonga?

Mio Okido: Ja, also, wie Alex erklärt hat. Diese Malerei zeigte die Identitätskrise der damaligen Japaner. Und das heißt also, diese Kunst zeigt jede Mentalität damals. Aber das ist auch so interessant. Dieses Genre ist aber vom Modernismus beeinflusst. Und die Tradition – also das ist neoklassische Malerei – ist mit der Tradition verbunden. Aber die Tradition ist auch von chinesischer Kunst beeinflusst. Japan, also konkret gesagt, das japanische Kaiserreich, hat als imperialistische Nation begonnen. Danach gab es eine kurze, moderne Zeit der Demokratie, aber am Ende ist das Land einfach in den Militarismus verfallen. Ich glaube, wenn man das so einfach erklärt, sind das einfach historische Fakten. Aber ich interessiere mich dafür, wie die Menschen motiviert sind, warum die Menschen das gemacht haben. Und Kunst oder Literatur oder so was zeigt einfach die Mentalität der Menschen. Deswegen also finde ich diese Malerei einfach interessant, historisch.

Alexander Hofmann: Wenn ich noch etwas ergänzen darf: Die Nihonga, die in der Ausstellung auch in einem benachbarten Raum zu sehen sind – die Nihonga aus der Museumssammlung – haben eine ganz eigene Geschichte, die eine Verbindung zwischen Japan und Deutschland schafft. Sie wurden nämlich zuerst gezeigt in einer Ausstellung, die 1931 in der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz zu sehen war. Die Ausstellung trug den Titel „Japanische Malerei der Gegenwart“. Und zwölf, zwölf Arbeiten wurden im Anschluss geschenkt. Und mit einer Ausnahme, die 1945 wohl nach Russland kriegsbedingt verlagert wurde, sind sie bis heute in der Museumssammlung.

Katharina Erben: Hast du einen Verdacht, was die Menschen 1931 daran so interessant fanden hier in Berlin?

Alexander Hofmann: Na ja, wie wir schon beschrieben haben, Nihonga zeigt ein idealisiertes Bild von Japan. Da sind schöne Frauen zu sehen. Da ist eine Tuschemalerei zu sehen, sehr abkürzend in der Darstellung, ein Vogel auf einem Ast eines Feigenbaums. Bilder, die sicherlich für die Menschen damals exotisch erschienen, fremd erschienen, reizvoll erschienen. Und ich denke, das hat sie berührt. Es war auch 1931 schon eine sehr politische Ausstellung. Sie wurde organisiert von Organisationskomitees, in denen durchaus auch Politiker und Diplomaten tätig waren.

Anna Schäfers: Die Triptychons haben ja einerseits den Teil Nihonga und dann haben sie aber eben historische Fotografien, Dokumentationen. Kannst du was zum Inhalt dieser Fotos noch sagen?

Mio Okido: Ja, also diese also Dokumentationsfotos stammen aus einem Fotobuch, das 1932 veröffentlicht wurde, und ein Jahr zuvor, also 1931, also als die Ausstellung der japanischen Malerei in Berlin stattfand, hat Japan eine Aggression angefangen im Nordosten von China. Und das Buch ist einfach, ja, kann man so sagen, Propaganda vom Angriff.

Anna Schäfers: Die Zeit der japanischen Neoklassik um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert, aus der auch die harmonischen Nihonga stammen, war also gleichzeitig eine Zeit, in der sich Japan sehr aggressiv gegenüber seinen Nachbarländern China und Korea verhielt: China und Japan führten Krieg, Korea wurde japanische Kolonie. Mio hat sich auf einer Forschungsreise nach Japan und Korea angeschaut, wie diese beiden Länder sich an die Kolonialzeit erinnern und wie sie sich selbst in dieser Erinnerung darstellen. Theoretisch ist das dieselbe Geschichte, sie wird aber, nicht ganz unerwartet, von den beiden Seiten unterschiedlich erinnert.

Mio Okido: Das Ziel war also, wie die Geschichte in den Museen und im öffentlichen Raum, in Japan und Südkorea unterschiedlich präsentiert wird. Also theoretisch ist die Geschichte eine, aber von den beiden Seiten, also wie sie präsentiert wird. In Südkorea wird die Erinnerungskultur in Museen sehr klar präsentiert. Weil also die Befreiung des Landes von Japan ist einfach die Gründung des Staates. Also die Narrative ist ganz stark Gründungsgeschichte.

Katharina Erben: Nach Ende des Zweiten Weltkriegs, mit dem auch die japanische Besetzung Koreas endete, gründeten sich zwei koreanische Staaten – die Erinnerung an Japan ist also in Korea mit der eigenen Gründungsgeschichte verknüpft. Von ihrer Recherchereise hat Mio Fotos mitgebracht, von Museen und anderen Erinnerungsorten in Südkorea. In der Zwei-Kanal-Videoinstallation, von der wir zu Beginn erzählt haben, stellt Mio sie Fotos gegenüber, die sie von Erinnerungsorten in Japan gemacht hat.

Mio Okido: In Japan ist die Erinnerungskultur dagegen nicht so einheitlich, finde ich. Ja klar, also der Staat trauert hauptsächlich um die Opfer der Atombombe. Das assoziieren sie: die großen, japanischen Opfer. Also da gab es natürlich auch ausländische Opfer, ja, klar. Und auch um Soldaten, die gestorben oder verletzt sind. Aber die Mehrheit der Gesellschaft hat ein konservatives Geschichtsverständnis, also besonders in den letzten Jahren. Aber das ist nicht alles. Aber es gibt auch kontroverse Erinnerungskultur. Das heißt, es gibt auch Menschen, die andere Erinnerungskulturen unterstützen, also ausländische Opfer zeigen. Und so weiter. Und dann gibt es immer Konflikt. Also was: Ein Denkmal wird abgebaut oder etwas Neues entstand. Und so weiter.

Alexander Hofmann: Was mich bei den Fotos von deiner Reise extrem beeindruckt hat, ist der Punkt – und du hast ihn bereits gemacht –, wie stark die Erinnerung an die japanische Kolonialherrschaft in Korea, die ja grob – also: ab 1905 war Korea annektiert, ab 1910 Kolonie dann bis 1945 von Japan – wie stark die Erinnerung an die japanische Kolonialherrschaft mit der nationalen Identität verbunden ist. Ich denke an ein Foto von einem regelrechten Wald von Nationalflaggen auf dem Gelände, wo dieser ehemalige Gouverneurspalast, der abgerissene Gouverneurspalast, zerlegt in die Einzelteile, sich heute befindet und ausgestellt wird. Oder eine enorm große Flagge auf der Außenwand eines Gefängnisses, in dem koreanische Menschen durch japanisches Militär verhört worden sind.

Mio Okido: Ja, das bemerke ich schon. Ich glaube, also, viele Südkoreaner sind junge, besondere, junge Südkoreaner also, die nach der Diktatur aufgewachsen sind, sind ein bisschen kritisch. Das ist zu stark, aber von mir aus. Ich kann das als Japanerin nicht so kritisieren. Aber so was gibt es auch.

Alexander Hofmann: Um auf die Selbstinszenierung von Japan als Opfer und die Rolle von Hiroshima und Nagasaki und der Erinnerung an die Atombombenabwürfe und die Opfer zurückzukommen: In einem der Werke in der Ausstellung spielt das auch bei dir eine Rolle. Es ist eine sehr außergewöhnliche Arbeit in der Technik. Du bist ja enorm vielseitig, du arbeitest mit Siebdruck, mit Video. Und in dieser Arbeit ist der Grund eine Metallplatte, auf die du ein Foto rekonstruiert hast, kann man fast sagen, in Strassstein. Man kann das Bild, das entsteht, eigentlich nur wie verpixelt sehen. Zudem reflektieren die Steine und man wird geblendet, wenn man auf das Foto schaut. Und das Foto ist ein Foto einer Frau, die in Hiroshima gestorben ist. Magst du was zu dieser Arbeit sagen?

Mio Okido: Ja, also ich weiß es nicht, ob die Frau gestorben ist oder nicht: einfach verbrannt. Aber wenn die Haut so verbrannt ist, dann ist sie vielleicht gestorben. Dieses Narrativ Hiroshima – Nagasaki ist der Hauptteil der japanischen Erinnerungskultur. Und ich bin auch nicht dagegen. Also, obwohl die japanische Regierung damals Täter war, dürfen einfach Zivilisten nicht so getötet werden. Klar. Aber diese Erinnerungskultur dominiert. Ich glaube, die Mehrheit der japanischen Gesellschaft sollte auch auf die ausländischen Opfer Rücksicht nehmen und dann betrachten – also besonders Opfer der japanischen Armee und so weiter. Also, da fehlt eine Balance. Es geht nicht darum, zu welcher Nation oder zu welcher Gruppe gehören [die Opfer], sondern es sind einfach Menschen, die darunter gelitten haben.

Anna Schäfers: Mio stellt fest, dass das Gedenken an die eigenen Opfer in Japan viel mehr Raum einnimmt als das Verständnis für die Opfer anderer Nationen. Und dass es in Japan wie auch in Europa einen Widerspruch gibt zwischen Aufklärung über die Vergangenheit mit Hilfe von Gewaltdarstellungen, die wichtig ist, und dem bloßen Konsumieren dieser Gewaltdarstellungen.

Mio Okido: Das Foto habe ich im Internet gefunden. Es gibt auch einen Grund. Dieses historische Ereignis ist dann einzigartig. Aber heutzutage kann man konsumieren. Alles kann man konsumieren. Also der Krieg so in der Ferne. Also kann man diese Bilder einfach so herunterladen oder einfach gegen Geld kaufen. Einen Artikel schreiben und so weiter. Und dieser Kontrast, so finde ich einfach, das hilft uns also, die Gewalt der Vergangenheit und von der Ferne kennenzulernen. Wir müssen wissen, aber trotzdem ist das auch Konsumgesellschaft. Und dann das Motiv- Bild ist einfach Meme im Internet.

Katharina Erben: Nachdem wir jetzt ausführlich über Mio Okidos Kunst gesprochen haben, die im Rahmen einer Residency mit dem Museum für Asiatische Kunst entstanden ist und auch dort gezeigt wird: Was ist das Ziel dieser Kollaboration?

Mio Okido: Also einfach so was Neues. Also neue Kultur und Kunst schaffen. Über Genres oder über Grenzen. Ich glaube, Kunst hat heute einen starken öffentlichen Charakter. Und da so viele sind involviert. Und jetzt zwar ich eine Künstlerin bin, aber ich finde, dass ich einfach Teil vom Team bin. Wir haben so zusammen diese Ausstellung geschaffen und ich glaube also, das hilft die lokale Kultur und Geschichte einfach zu vernetzen und als kreative, kollektive globale Kultur und Geschichte zu verstehen.

Alexander Hofmann: Ja, für uns als Museum ist die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Künstler*innen immer einer Chance, Themen aufzugreifen und unserem Publikum zu zeigen, die in den Sammlungen des Museums nicht vorhanden, nicht abgebildet sind. Und das gilt ganz besonders für den japanischen Kolonialismus und den japanischen Imperialismus, der nur in indirekter Form – wir haben die schöne, die Repräsentationsseite in Form der Nihonga aus der Zeit des japanischen Imperialismus. Aber wir haben keine Zeugnisse, die beispielsweise die japanische Kolonialherrschaft in Taiwan, in Korea – für die Aggression auf dem chinesischen Kontinent hätten wir Beispiele, beispielsweise im Holzschnitt, da haben wir auch Beispiele in der Ausstellung – aber für die Kolonialherrschaft haben wir eben keine Beispiele.

Kerstin Pinther: Ich will auch gerne unterstützen, was Alex gerade sagte, dass das im Grunde ja auch so unser Wunsch ist, auch hier irgendwo wieder auf ideale Weise umgesetzt, dass ein Ausgangspunkt in der Sammlung gesucht wird. Aber was ja meistens eben auch eine historische Sammlung ist und damit mit der aktuellen Beschäftigung eben wirklich noch mal so ein Bezug in die Gegenwart geschaffen wurde. Und auch und das habe ich auch bei der Eröffnung gedacht, nicht nur ein Bezug zur Gegenwart geschaffen, sondern wirklich auch noch mal ein Diskussionsangebot, eine Plattform auch an die Stadtgesellschaft, vielleicht auch an eine ostasiatische Diaspora, wo man schon gemerkt hat, das ist ein Thema, was zwischen Japan, Südkorea, was wirklich ein Thema ist und was eben da auch noch mal im Grunde so ein Gespräch auch generieren kann.

Alexander Hofmann: Einen zweiten Punkt, den ich ganz wesentlich fand, und du hast das bei der Eröffnung der Ausstellung gesagt: Die Geschichte Asiens ist nichts, was sich in großer räumlicher Distanz und Ferne abspielt. Sondern weil Menschen aus Asien heute in Berlin leben, ist das etwas, was auch Teil unserer Kultur, unserer Gesellschaft hier in Berlin sind. Das fand ich einen sehr wertvollen Punkt.

Katharina Erben: Mio Okido lebt selbst in Berlin und befasst sich in ihren Arbeiten auch oft mit deutsch-deutscher Geschichte. Da hier so viele verschiedene Menschen mit so vielen verschiedenen Hintergründen zusammenkommen, könne man gar nicht sagen, welche Erinnerungskultur zu Deutschland gehört, und welche nicht, sagt Mio.

Mio Okido: Ich bin schon vielleicht Migrantin, also ich habe meine Steuernummer, also ich habe zwei deutsche Abschlüsse usw., aber klar, ich erwähne meinen Hintergrund und woher ich komme und so, was für eine eigene Geschichte mein Land hat. Aber das bedeutet nicht, dass ich einfach Heimweh oder so was hätte. Sondern ich glaube, Menschen bringen ihre Geschichte einfach mit. Und weil Berlin mal so immer Multikulti bietet, hier gibt es wirklich verschiedene Menschen und die bringen so ihre Geschichte, ihre Erinnerungskultur mit. Und heutzutage kann man nicht sagen, welche Erinnerungskultur zu Deutschland gehört oder nicht. Wenn Menschen schon da sind, dann haben wir diese Erinnerungskultur. Und ich glaube nicht nur asiatische Geschichte, sondern einfach diese neue Erinnerungskultur soll man mehr fokussieren oder vernetzen und diese Weltgeschichte als Kollektiv verstehen.

Katharina Erben: Was hat sich denn jetzt verändert durch diese Zusammenarbeit? Hat es das Schloss verändert? Du hast gesagt, es wirft Fragen auf und viele Leute hinterfragen dann auch zum Beispiel die eigene Erinnerungskultur oder die Erinnerungskultur in der asiatischen Diaspora in Berlin. Aber was hat sich nach dieser Zusammenarbeit verändert für uns?

Alexander Hofmann: Das ist eine große Frage. Ich glaube, es hat vor allen Dingen unser eigenes Selbstverständnis verändert, als Mensch, der in einem Museum für Kunst aus Asien arbeitet. Wir zeigen ja seit Jahrzehnten Kunst aus Japan eigentlich selbst mit dem Verständnis, dass diese Kunstwerke nicht repräsentativ sind. Das ist eine zufällige Auswahl, die sich durch die Vorlieben unserer Vorgänger im Amt hier in Berlin angesammelt hat. Das kann nicht Japan zeigen, das ist nicht die japanische Kultur, das ist nicht die japanische Geschichte. Aber natürlich nehmen unsere Besucher*innen diese Bilder, diese Kunstwerke, die sie im Museum sehen, als häufig als repräsentativ wahr und denken, hier sehen sie die japanische Kunst.

Anna Schäfers: Dieses Japanbild, welches das Museum für Asiatische Kunst mit seinen Ausstellungen vermittelt, ist natürlich weniger komplex als das Land Japan tatsächlich ist. Mit den gesammelten Kunstwerken lassen sich nur einige Japanthemen darstellen, wie Alex feststellt. Es wäre lohnenswert, die Diversität und Bandbreite zu erhöhen. Künstler*innen wie Mio Okido können dafür neue Ansätze bieten.

Alexander Hofmann: Und wie ich schon sagte, der Bereich des japanischen Imperialismus, Kolonialismus, Faschismus, das ist ein Thema, das wir bisher nicht aufgegriffen haben in unserer Arbeit und wo der Ort Humboldt Forum, wo dieses Thema Kolonialismus, Dekolonialisierung so virulent sind, das, ich will nicht sagen, zwingt uns, aber das fordert uns heraus, darauf zu reagieren, Stellung zu beziehen. Und ich freue mich außerordentlich, dass das mit diesem Projekt mit Mio Okido und durch Mios Arbeit bis zu einem gewissen Grad erfolgt ist. Das ist kein abschließendes Bild, was wir zeigen, aber das ist ein Anfang. Etwas, was wir vielleicht weiterentwickeln können in Zukunft und was neu ist für uns.

Katharina Erben: Wird es Einfluss haben auf zukünftige Ausstellungsgestaltung oder die Arbeit hinter den Kulissen?

Kerstin Pinther: Das ist auch eine große Frage. Also ich würde vielleicht generell noch mal sagen, dass das Selbstverständnis vielleicht des Humboldt Forums, auch der Museen, vielleicht auch so, wie es in bestimmten Leitbildern auch festgesetzt ist, ja schon eines ist, dass wir uns vornehmen, auch zu bestimmten, virulenten aktuellen Diskussionen beizutragen. Und ich glaube, dass das mit dieser Ausstellung tatsächlich sehr gut gelingt. Ich freue mich darüber auch. Ich glaube auch, dass es notwendig ist, die Diskussion, die wir jetzt auch schon länger führen, die auch in Berlin ja sehr vehement geführt wird, um Kolonisation und Dekolonialisierung, dass es auch wichtig ist, diese Geschichte auch noch mal ein Stückchen weit zu verkomplizieren, indem wir eben auch noch mal auf andere Regionen gucken. Und ich würde denken, dass die meisten von uns eben gar nicht so viel wissen über so etwas wie die Globalgeschichte auch des Zweiten Weltkriegs beispielsweise oder die Auswirkungen auch des Zweiten Weltkriegs auf andere Kontinente, auf Afrika vielleicht, aber eben auch auf Ostasien. Und ich denke, dass das schon wichtig ist und dass das vielleicht auch vorbildhaft sein könnte für weitere Projekte, die wir in der nahen Zukunft noch mal angehen. Und über solche Ausstellungen eben doch noch mal stärker auch, noch mal inhaltlich gesprochen, auch die Stadtgesellschaft einbeziehen und ansprechen.

Mio Okido: Das freut mich. Ich hatte immer ein Gefühl, dass ich euch immer belaste.

Anna Schäfers: Wir müssen belastet werden, damit wir besser werden, behaupte ich jetzt mal.

Mio Okido: Vielen Dank.

Katharina Erben: Mio hat noch ein Schlusswort für unser Gespräch: Sie möchte nicht provozieren, sondern sie mag ihr Land und sie möchte zur Auseinandersetzung anregen, für eine bessere Zukunft.

Mio Okido: Also meine Kunst ist weder politische Provokation, noch eine Anti-Japan-Bewegung, sondern ich mag mein Land. Also ich will einfach eine Gelegenheit, dieses Thema erfahren und mitdenken. Warum? Für die Zukunft. Nichts ist perfekt. Also immer so jede Geschichte und jede Person hat Pro und Contra. Damit muss man sich auseinandersetzen, einfach für die bessere Zukunft.

Anna Schäfers: Mios Ausstellung „Erinnerte Bilder, imaginierte Geschichte(n) – Japan, Ostasien und ich“ ist bis zum 3. Februar 2025 zu sehen. Wir haben die Broschüre zur Ausstellung mit Bildern und Texten in den Shownotes verlinkt. Mehr Arbeiten von Mio könnt Ihr übrigens auch bis mindestens Februar in der Ausstellung „Über Grenzen. Künstlerischer Internationalismus in der DDR“ sehen, ebenfalls im 3. Stock des Humboldt Forums. Danke fürs Zuhören! Wenn Ihr mögt, liked uns, abonniert uns, erzählt Euren Lieben von uns. Die nächste Folge gibt’s im Januar!

Katharina Erben: Das war „Gegen die Gewohnheit. Der Podcast zu neuen Formen der Zusammenarbeit im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst.“ Produziert von speak low im Auftrag der Staatlichen Museen zu Berlin.

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.